Die Seele, die einen Körper hat

Die Seele, die einen Körper hat

Von den unzähligen Aspekten, Ideen, Erkenntnissen, die ich in meiner Yogalehrer-Ausbildung im Moveorespiro erfahren habe, wurde ein Bild aus der Yoga-Philosophie besonders prägend für mich:

Der Mensch ist eine Seele, die einen Körper hat – und nicht anders herum.

Detaillierter werden die unterschiedlichen Aspekte des Menschen in den ca. 2500 Jahre alten vedischen Schriften der Upanishaden durch die 5 Koshas (= Schichten) beschrieben. Wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe umgeben die außenliegenden Schichten die jeweiligen inneren:

  • Der physische Körper (Annamaya Kosha)
  • Der Atem- und Lebensenergie-Körper (Pranamaya Kosha)
  • Der Mentalkörper (Manomaya Kosha)
  • Der Körper der Weisheit (Vijanamaya Kosha)
  • Der Körper der Glückseligkeit (Anandamaya Kosha)

Die äußerste Schicht ist unser physischer Körper, im Zentrum liegt der Körper der Glückseligkeit – den ich als Seele beschreiben würde. Unser persönlichster Kern liegt, von außen verborgen, im Inneren. Dabei existieren die Koshas nicht getrennt voneinander. Wie in einem Baum oder einer Blume, deren Schichten miteinander verwoben sind, bilden sie vielmehr eine Einheit. Dass diese Schichten nicht isoliert voneinander „funktionieren“, erfahren wir täglich. Wenn wir beispielsweise angespannt oder gestresst sind, wird der Atem flach, unsere Gedanken (der mentale Körper) finden keine Ruhe und wir fühlen uns alles andere als glückselig.

Aber die Koshas beeinflussen sich auch positiv, unterstützend. Und genau dies ist der Grund, warum - so bin ich überzeugt - eine ausgeglichene körperliche Yoga-Praxis mit Achtsamkeit für den Augenblick auch unsere Seele erfreut!

Durch die abwechslungsreichen Bewegungen, dynamischen und statischen Dehnungen werden unsere Muskeln, Gelenke und unser gesamtes Faszien-Netzwerk gefordert und neben dem physischen auch der Atem- und Lebensenergie-Körper gestärkt. Viele Erkenntnisse des aktuellen Faszien-Hypes haben die Yoga-Asanas also bereits schon lange integriert :>). Das wird einfach erkennbar, wenn Du in „alltäglichen“ Asanas die Dehnung der großen äußeren Faszienlinien in deinem Körper wahrnimmst.

Die grossen Faszienlinien und ein paar alltägliche Asanas

Die grossen Faszienlinien und ein paar alltägliche Asanas

Welche Faszienlinie(n) in den 4 Asanas jeweils gedehnt werden, kannst Du leicht selber erspüren.

Aber unsere Asana- und Yoga-Praxis fördert noch viel mehr und vor allem auch die Stärkung und Weiterentwicklung unserer inneren Körperschichten:

  • Neben Muskeln, Faszien und Gelenken werden durch die vielseitigen Bewegungen im physischen Körper auch unsere Organe massiert. Beispielsweise alle Bauchorgane in Drehungen, Vor- und Rückbeugen - oft sanft und manchmal intensiv. Dies ist die beste Voraussetzung dafür, dass unsere Organe lange vital bleiben und somit auch zum Wohlbefinden unseres energetischen und mentalen Körpers beitragen.
  • Von außen angewandte Massagetherapien führen bei hinreichend intensiver Anregung der Muskeln und Faszien zur reduzierten Ausschüttung von Stresshormonen wie Kortisol. Die Ausschüttung von Stoffen mit schmerzlindernder, das parasympathische Nervensystem anregender Wirkung wie Oxytocin, Endorphine, Serotonin und Dopamin wird erhöht. Die resultierende Beruhigung vor allem der Atem- und Kreislaufsysteme stärkt unseren energetischen und mentalen Körper. Warum sollte die „innere Asana-Massage“ nicht dasselbe bewirken? Ich bin sicher, dies auch ein Grund, warum Yoga einfach guttut.
  • Durch die innere Achtsamkeit und die Konzentration bei herausfordernderen Asanas wird unsere Körperwahrnehmung gefordert und geschult, unser Geist fokussiert und somit unser mentaler Körper gestärkt. Dies erfährst Du beispielsweise in fordernden Balancen oder was auch immer Deine Herausforderung auf der Matte sein mag.
  • Beim Fokus auf den Atem trainierst, stärkst und beruhigst Du Deinen Atem- und Lebensenergie- Körper, bei gezielter Pranayama-Praxis oder auch in einem Vinyasa-Flow.
  • In Momenten des bewussten Atmens, der Meditation sowie auch der achtsamen Asana-Praxis kannst Du diesen wundervollen Augenblick von Im-Hier-und-Jetzt-Sein erfahren, der Dich einen Atemzug lang vollkommene Stille erleben lässt. In diesen Momenten erspürst Du Teile Deiner inneren Weisheit und Glückseligkeit.

Der enge Zusammenhang von körperlichem und emotionalem, seelischem Erleben ist Basis des neuerdings auch in der Psychologie wieder verstärkt betrachteten „Embodiment“ (= Verkörperung), bei dem psychische Symptome wie Stress oder Angst über körperliche Übungen behandelt werden. Wie die Koshas beschreiben, scheint Yoga der Zeit auch hier weit voraus zu sein - so ca. 2500 Jahre :>).

Yoga unterstützt uns somit auf der spannenden Reise, die Körper, Atem, Geist, Weisheit und Glück miteinander in Einklang bringt - Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Wir müssen uns nur die Zeit hierzu nehmen und in Achtsamkeit praktizieren.

Dies erlebe ich jeden Morgen auf der Matte. Und auch Dir wünsche ich viel Freude dabei!
Bernhard